Lieber Herr Schmitt,

Sie setzen sich in ganz besonderem Maße für die Integration von jungen Menschen mit Fluchtgeschichte ein. Bitte erzählen Sie uns etwas mehr, was Ihr Angebot bzw. Ihr Verein von anderen Vereinen unterscheidet.

„Es war uns von Anfang wichtig, den Kindern nicht nur eine sportliche Heimat zu geben. Bei Concordia Wilhelmsruh 1895 unterstützen wir die Kinder und Jugendlichen auch bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz oder bei der Verbesserung ihrer Kenntnisse in Grammatik und ihrer Rechtschreibung.“

Der Schwerpunkt Ihrer Arbeit liegt ja im Bereich des Mädchen-Fußballs. Würden Sie uns etwas mehr darüber erzählen, was die Arbeit mit jungen Sportlerinnen für Sie so besonders macht?

„Für Mädchen, die mit ihren Familien geflohen sind oder einen Migrationshintergrund haben, bedeutet Sport auch Freiheit und Selbstverwirklichung. Sie konnten entweder in ihren Heimatländern nicht Fußball spielen, weil es keine Infrastruktur oder Vereine gab, oder es wurde schlichtweg nicht erlaubt.

In diesem Zusammenhang verstehen wir in unserem Verein die Förderung des Mädchenfußballs als einen Start in ein selbstbewusstes Leben. Nach meinen Erfahrungen sind Mädchen insistierter und pflegen ein höfliches Miteinander. Ich erinnere mich noch daran, wie mich eine 6-jährige Spielerin vor einem Trainingsspiel gegen unsere E-Jungs fragte, ob man auch foulen dürfte? Ich glaube, diese Frage stellen Jungs nicht.“

Wie viele Sportlerinnen nehmen an dem Angebot teil? Wie alt sind sie und woher kommen die Mädchen?

„Wir haben vor einem Jahr mit vier Mädchen begonnen. Heute spielen bei uns über 60 Mädchen mit einem Flucht- oder Migrationsanteil von 70 Prozent Fußball. Wir haben Kinder aus Bolivien, der Türkei, Albanien, Afghanistan, Tunesien, Marokko, Kamerun, der Ukraine, dem Irak, Bulgarien, Guinea und Deutschland bei uns, die begeistert und zusammen ihrem Hobby nachgehen.“

Slogans wie „Sport verbindet“, „Sport spricht alle Sprachen“ etc. findet man ja oft in der Presse. Aber wie sind denn Ihre Erfahrungen? Welchen Beitrag leistet der Sport Ihrer Meinung nach bei der Integration?

„Neben der Schule ist Sport der entscheidende Faktor zur Integration. Werte wie Toleranz, Respekt und Fairplay können nirgendwo leichter, besser und effektiver vermittelt werden, als im Mannschaftssport.“

Würden Sie der Aussage zustimmen, dass Integration immer von beiden Seiten kommen muss – also keine Einbahnstraße sein darf? Können Sie uns Beispiele nennen, wie integrative Arbeit im Verein Sie und/ oder auch Ihren Verein vielleicht verändert hat?

„Kinder wollen grundsätzlich gerne mit anderen Kindern spielen, die Herkunft interessiert da nicht. Entscheidend ist immer die Zustimmung der Eltern. Geben Eltern ihr Einverständnis, dass ihr Kind Mitglied eines Sportvereines sein darf, signalisiert die Familie damit klar, dass sie Teil der Gesellschaft sein möchte. Wir als Sportvereine müssen sie in dem Fall nur noch „abholen“.

So wie die Gesellschaft wurde auch unser Verein internationaler und der eine oder andere bei CW 1895 hat für sich den kulturellen Zugewinn entdeckt, den Zuwanderung bedeutet.

Viele Mitglieder waren überrascht, was das für tolle Mädchen sind, die nun bei uns spielen. Höflich, respektvoll und mit perfektem Deutsch. Nährboden für Vorurteile ist auch immer die Unkenntnis des Anderen – deswegen liegt es an uns selbst, alle auf unserem Weg mitzunehmen und Vorurteilen entgegenzuwirken.“

Ihr Engagement geht ja weit über das der meisten anderen Vereine hinaus. Was motiviert Sie bei Ihrer Arbeit?

„Sie müssen ihre Arbeit lieben und zu 150 Prozent davon überzeugt sein, was sie tun. In einer globalisierten Welt kann Integration nur gelingen, wenn wir uns frühzeitig um die Kinder kümmern und sie fördern. Jedes dieser begeisterten Kinder ist sowohl Multiplikator, als auch Botschafter in seiner Community für ein friedvolles Zusammenleben. Das Vertrauen, welches uns entgegengebracht wird, gilt es nicht zu enttäuschen. Und die stetig wachsende Zahl an Kindern mit Flucht- oder Migrationshintergrund, die Teil des Teams sein möchten, ist Motivation pur.“

Gibt es ein Erlebnis in Bezug auf die Arbeit mit geflüchteten Menschen, dass Ihnen langfristig in Erinnerung geblieben ist bzw. Ihre Arbeit im Verein geprägt hat?

„Nachhaltig bewegt hat mich der Besuch eines Flüchtlingsheimes. Ich habe dort Kinder kennengelernt, die in dem Heim seit mindestens fünf Jahren abgeschottet vom Rest der Gesellschaft leben. Sie haben keine Chance, neue Freunde über den Sport kennenzulernen, um den Heimalltag für eine kurze Zeit hinter sich zu lassen.

Als ich dort bei einem Trainingsspiel der Kinder zuschauen durfte und im Anschluss von meinem Verein erzählte, sah ich in erwartungsfreudige Kinderaugen, die am liebsten sofort mit zu CW 1895 gekommen wären. Als mich gleichzeitig ein 11-jähriges Mädchen aus dem Irak fragte, ob ich nächste Woche wiederkomme und von unserem Verein erzähle, hat mich das sehr berührt.

Natürlich haben auch die Betreuerinnen und Betreuer versucht, den Kindern eine Vereinsaufnahme zu ermöglichen. Diese Bestrebungen sind jedoch an fadenscheinigen Begründungen anderer Vereine gescheitert. Darüber kann ich nur den Kopf schütteln. Wer Integration ernstnimmt, darf diese Kinder nicht im Stich lassen.“

Wenn andere Vereine sich entschließen sollten, ebenso mehr für die Integration von Menschen mit Fluchtgeschichte tun zu wollen – was würden Sie Ihnen raten? Wie kann man am besten starten?

„Beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft ergeben sich erste Einblicke über den Heimalltag.  Bei dem anschließenden Gespräch mit den Betreuerinnen und Betreuern kann man erste Kooperationen vereinbaren. Wer sich in der Vergangenheit nicht mit der Problematik beschäftigt hat, sollte sich vielleicht am Anfang kleine Ziele setzen.

Auch sollte die Vereinsstruktur sowohl organisatorisch als auch personell darauf eingestellt sein, dass Kinder mit Fluchtgeschichte sehr schnell merken, ob sie willkommen sind.

Und natürlich gibt es Unterstützung seitens des Landessportbundes mit seinen kompetenten Mitarbeitern und dem BFV, vor allem über dessen Projekt „Alle kicken mit“.

Selbstverständlich hat der klassische Flyer mit einem zielgerichteten Angebot nicht ausgedient. Und zu guter Letzt kann man auch einfach anrufen und sich über weitere Schritte beraten lassen.“

Haben Sie Empfehlungen, wo man sich als Verein Unterstützung bei der Umsetzung integrativer Projekte holen kann? Wer hat Ihnen gegebenenfalls geholfen? 

Träger oder Projekte zu finden, die den Kern der Sache treffen und genau das beinhalten, was wir wollen, war und ist nicht einfach. Ich bin sehr glücklich und wir alle sind dankbar darüber, dass wir Sport gegen Gewalt e.V. und dessen Gründer Herrn Klaus-Jürgen Jahn an unserer Seite haben. Herr Jahn verfolgt mit seinem Verein das gleiche Ziel wie wir mit unserer Arbeit bei CW1895: Weg von der Straße und vielfältige Möglichkeiten schaffen, dass Kinder und Jugendliche am Sport teilhaben können.

Sicherlich gibt es auch die eine oder andere Herausforderung, wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft aufeinandertreffen. Können Sie uns von Ihren Erfahrungen berichten?  Haben Sie Empfehlungen, wie man mit kulturellen Unterschieden am besten umgeht?

„Wir unterscheiden nicht nach Herkunft. Es sind alles Kinder und es sind alles Berliner Kinder. Jedes Kind ist Teil des Vereins, Teil des Teams und für alle gelten dieselben Regeln. Alle Kinder bekommen dieselbe Ausstattung an Sportbekleidung, denn nicht die soziale Herkunft darf darüber entscheiden, welche Sporthose ein Kind trägt.“

Viele Menschen haben ja in ihrem Leben ein Motto, welches sie antreibt. Wie sieht das bei Ihnen aus? Haben Sie eines, welches Sie uns verraten würden?

„Tue Gutes und Dir wird Gutes widerfahren. Demut, Gelassenheit und Zuversicht sind Dinge, die man verinnerlichen sollte, denn die Zeit auf dieser Welt ist für jeden begrenzt. Und die Suche nach persönlichem Glück kann auch darin bestehen, anderen eine Freude zu bereiten.“

Nun haben wir so viele Fragen gestellt. Gibt es noch etwas, was Sie uns oder anderen Berliner Sportvereinen vielleicht mit auf den Weg geben möchten?

„Erfolg kann der Gewinn der Meisterschaft, des Pokals oder der Staffel sein. Aber genauso ist es ein Erfolg, insbesondere Mädchen aus anderen Kulturkreisen teilhaben zu lassen an unserer Gesellschaft. Integration beschränkt sich nicht nur auf Jungen. Integration kann nur gelingen, wenn wir Jungen und Mädchen gemeinsam mitnehmen. Unsere Welt ist geprägt von Ängsten. Deswegen muss es unser Ziel sein, den Kindern die Ängste zu nehmen. Das kann nur gelingen, wenn wir es ihnen ermöglichen, in einem sportlichen und gefestigten Umfeld Kreativität zu entwickeln, chancengleich und mit beruflicher Perspektive  aufwachsen zu können.“

Wir sind froh, dass es Menschen wie Sie gibt! Danke, dass Sie uns so offen geantwortet haben und bitte, bitte machen Sie weiter so!

Das Interview mit Uwe Schmitt, Vorstandsvorsitzender des Vereins Concordia Wilhelmsruh 1895 e.V., führte Sport-Integrations-Coach Sandra Kilbert.

Ihr möchtet den Verein Concordia Wilhelmsruh 1895 e.V. näher kennenlernen und vielleicht Teil des Teams werden? Hier findet Ihr weitere Informationen zu den Mannschaften, Trainingszeiten etc..

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