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Sport als Integrationsmotor
In der 6. Ausgabe der Zeitschrift "Kohero - Magazin für interkulturellen Zusammenhalt" geht es um Sportler*innen und Sport - nicht nur als körperliche, sondern auch gesellschaftliche Bewegung. Es geht um Inklusion, Ankommen, aber auch um Ausgrenzung. Mohammed El Ouahhabi (30), Sport-Integrations-Coach im Projekt "SPORTBUNT - Vereine leben Vielfalt!" stellt sich den Fragen der Redaktion und spricht darüber, wie er als Sport-Integrations-Coach immer wieder erlebt, wie Geflüchtete durch Sport aufblühen und sich dadurch stärker mit der deutschen Gesellschaft verbunden fühlen.
Aufgewachsen in den Armenvierteln Marokkos, hat Mohammed schon früh die heilsame Wirkung von Sport und Büchern für sich entdeckt. Nachdem er seinen Traum, Profifußballer zu werden, verletzungsbedingt aufgeben musste, begann er wegen seiner Liebe zur deutschen Literatur Germanistik in Marokko zu studieren. Während seines Studiums kam er für ein Praktikum im Bundestag nach Deutschland. Inzwischen ist er beim Projekt SPORTBUNT des Landessportbundes Berlin e. V. angestellt.
Welchen Stellenwert hat Sport für dich?
Ich stamme aus sehr einfachen Verhältnissen. Der Fußball half mir, mein Leben in die richtige Richtung zu lenken. Seit meiner Kindheit sind Sport und Lesen eine Art Therapie für mich. Leider musste ich meine Fußballkarriere mit 17 wegen einer Verletzung beenden. Danach wurde ich jedoch der jüngste Fußballcoach Marokkos und trainierte Kinder und Jugendliche in Fès.
Du arbeitest nun bei dem Projekt SPORTBUNT. Welche Leistungen bietet ihr in diesem Rahmen an?
SPORTBUNT ist ein Projekt des Landessportbundes Berlin e. V. und wird aus Mitteln des Gesamtkonzepts zur Integration und Partizipation Geflüchteter gefördert. Fünf von uns arbeiten als Sport-Integrations-Coaches und sind für je zwei bis drei Berliner Bezirke zuständig. Wir unterstützen Sportvereine dabei, Angebote für Geflüchtete zu schaffen, und versuchen, geflüchtete Menschen in bestehende Sportangebote zu bringen. Wir bauen Kooperationen und Netzwerke zwischen Akteuren der Flüchtlingshilfe und Sportvereinen/-verbänden auf und beraten Vereine bei der Beantragung von Fördermitteln. Eine weitere Aufgabe von uns ist die Ausbildung Geflüchteter als Übungsleitende.
Wie sorgt ihr dafür, dass Geflüchtete von den Angeboten der Vereine erfahren?
Wir arbeiten mit Flüchtlingsunterkünften zusammen. Ich stehe etwa mit zwölf Unterkünften in Pankow, elf in Lichtenberg und fünf oder sechs in Mitte in Kontakt. Unsere Website www.sportbunt.de ist auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Farsi. Zudem mache ich viel Werbung in Facebook-Gruppen. Wir versuchen, medial präsent zu sein, und ich gebe Interviews auf Deutsch und Arabisch.
Wie findest du Zugang zu den Geflüchteten?
Meine Biografie und Migrationsgeschichte erleichtern die Arbeit. Mir kommt zugute, dass ich neben marokkanischem Arabisch auch Hocharabisch und verschiedene arabische Dialekte spreche, die ich durch Lesen, Filme und Serien gelernt habe. Dadurch kann ich mich u. a. mit Syrer*innen und Ägypter*innen unterhalten, was sonst unmöglich wäre.
Warum ist Sport bei der Integration von Geflüchteten förderlich?
Sport ist nicht per se integrativ, aber Sportarten wie Fußball bieten eine ideale Gelegenheit für interkulturelle Begegnungen. Gemeinsames Fußballspielen erleichtert die Integration, da neue Freundschaften entstehen und Sprachbarrieren überwunden werden. Menschen jeder Hautfarbe, jeden Alters und Geschlechts sind willkommen. Wenn Uwe, Ali, Morteza und Kathrin zusammen im Verein Sport treiben, ist das ein positiver Schritt nach vorne. Gleichzeitig können durch Sport wichtige Botschaften wie Respekt, Toleranz und Fairplay vermittelt werden. Seit 2017 haben wir über 120 Übungsleiter*innen aus aller Welt und mit ganz unterschiedlichen Biografien ausgebildet. Teils gehören sie sogar verfeindeten Religionen an. Aber der Sport bringt sie zusammen. Sehr wichtig ist uns, Frauen als Trainerinnen zu schulen. Denn wenn du eine Frau erreichst, ist die ganze Familie an Bord.
Wie verändern sich Geflüchtete durch Sport?
Viele von denen, die eine Trainerlizenz erworben haben, sprechen inzwischen gut Deutsch und fühlen sich mit Deutschland verbunden. Ich kann ihre Gedanken nicht lesen, aber durch Sport hat sich ihre Rhetorik verändert und ihr Selbstbewusstsein ist gestärkt worden. Sind die Erwartungen der Gesellschaft an die Integration von Geflüchteten realistisch? Bei den Erwartungen an Geflüchtete geht es meist um die gleichen Themen: Sprache, Arbeit, Ausbildung und Rechtstreue. Aber ein Perspektivwechsel und ein wenig Empathie sind wichtig, um ihre Situation nachvollziehen zu können. Niemand verlässt seine Heimat freiwillig. Es gibt immer Gründe wie Krieg, Verfolgung oder Hunger. Wir müssen den Menschen, die Verwandte haben sterben sehen und Bomben erlebt haben, Mitgefühl zeigen. Viele kommen hier traumatisiert an, leiden unter Depressionen und haben keine Energie. Dennoch lernt ein beachtlicher Teil die Sprache zügig und macht etwas Großartiges. Einige Menschen haben die Fähigkeit, sich schnell zu integrieren, andere benötigen mehr Zeit oder sind z.B. aufgrund ihres Alters dazu nicht in der Lage. Daran merkt man, dass die Schicksale sehr individuell und damit manche Erwartungen unrealistisch sind.
Wie kann der Staat besser unterstützen, damit Integration gelingen kann?
Es wurde viel getan, aber es geht nicht nur um Programme für Geflüchtete. Wir müssen auch unsere Mitbürger*innen dazu bringen, sich zu öffnen und von den Schutzsuchenden bereichern zu lassen. Es sollte mehr Geld in Demokratieförderung, Bildung und Sportprojekte fließen, damit Fremdenfeindlichkeit gar nicht erst entsteht. Natürlich gibt es Menschen mit rassistischen Ansichten, an die man aufgrund ihres Hasses überhaupt nicht herankommt. In solchen Fällen muss man bei den Kindern ansetzen.
Das Interview mit Mohammed El Ouahhabi führte Ajda Omrani. Die vollständige Print-Ausgabe der Zeitschrift ist auf der Website des Kohero-Magazins bestellbar.
Quelle: Kohero-Magazin