Manchmal ist ein Name viel mehr als das. In Deutschland hat Mohammed Ali Agassy meistens Komplimente bekommen für seinen: „Cooler Name.“ „Super, Box-Ikone und Tennis-Ikone.“ Die Briefträgerin, die die Post in seine WG in Berlin-Tempelhof bringt, strahlte ihn an: „Mohammed Ali Agassy, echt schön.“ Für den Iraker, der 2017 aus Bagdad nach Berlin geflüchtet ist, fühlen sich solche Komplimente komisch an, unerwartet: „Ich habe immer gedacht, dass Mohammed in Deutschland kein beliebter Name ist“, sagt er.

Auf dem Ausweis von Mohammed Ali Agassy steht: „Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens.“ In gewisser Weise hat ihn seine Vergangenheit im Sport nach Deutschland gebracht. In Berlin ist der Sport eine seiner ersten Anlaufstationen gewesen, das erste Netz, das ihn auffing, die erste Struktur, die ihm Kontakte außerhalb der Notunterkünfte am Tempelhofer Feld und später in der Mertensstraße in Spandau Hakenfelde verschaffte. Eigentlich wäre er dem Sport gern treu geblieben. Am liebsten dem Tennis. Wobei Agassy sein Rufname ist – Agassi wie Andre, der frühere Tennisprofi aus den USA.

Schon seinen Vater, einen Lehrer, nannten sie in Bagdad so, weil er Tennisspieler war. Und Tennistrainer. Außerdem hatte er eine Glatze. Sogar Mohammeds Schwester, auch eine Tennisspielerin, wurde Agassy gerufen. Mohammed selber spielte als Jugendlicher in der irakischen Nationalmannschaft, was in den 90er-Jahren immer schwieriger und irgendwann für die Familie zu teuer wurde: Krieg, Wirtschaftsembargo, der Irak war isoliert. „Wir hatten sehr wenig Geld. Die Ausrüstung, die Reisen, gleichzeitig ging ich zur Schule, zur Arbeit als Kältetechniker, später zur Universität. Das Tennisspielen konnte ich mir nicht mehr leisten.“ Erst recht nicht auf Profi-Niveau.

An der Uni in Bagdad machte Mohammed Ali Agassy seinen Bachelor, Geld verdiente er, indem er morgens um vier, um fünf, andere Studenten abholte und sie zum Unigebäude transportierte. Irgendwann sah er einen Baseball-Film. Der faszinierte ihn. Baseball war der Sport der Amerikaner, und das war unter dem Regime von Saddam Hussein ein Problem.


Baseball-Schläger vom Flohmarkt

Agassy störte es nicht weiter. Er gründete trotzdem mit ein paar Freunden die irakische Baseball-Föderation. Die Regeln schaute er sich aus Videos ab, bis ihm jemand ein Regelbuch schenkte. „Ich war der Einzige, der in der Schule Englisch gelernt hatte“, sagt Agassy, der Einzige also, der die Regeln verstand und weitergeben konnte. Schläger und Handschuhe kauften er und seine Freunde auf dem Flohmarkt Bab al Scherdji als Second-Hand-Waren. Da fing es an mit den Bedrohungen. „Ihr seid Amerikaner. Ihr seid Verräter“, hieß es.

Agassy machte seinen Master in Sportwissenschaft. Er gab Kindern Baseball-Unterricht, in Bagdad entstanden drei Teams, auch in anderen Städten wurden Baseball-Föderationen gegründet. Immer mehr lernten das Schlagballspiel – von 2013 bis 2017 war Agassy Baseball-Nationaltrainer des Irak. Seine Mannschaft spielte bei Turnieren in Tunesien, im Iran, in Pakistan. Der Irak nahm an den Asienmeisterschaften teil. Er gab Interviews im Fernsehen, die amerikanische Botschaft lud ihn ein, um mit Amerikanern zu trainieren. Nebenbei arbeitete Agassy als Dozent für Tennis und Biomechanik an der Universität – nicht für 800 Euro im Monat wie viele andere, sondern für 60 Euro. Dann wurde er gekündigt.

Agassy sagt, Baseball und sein Name seien schuld daran. „Mein Name hat mir viele Probleme gemacht. Er weist mich als Sunniten aus.“ Er sei aber kein gläubiger Mensch. Weder Sunnit. Noch Schiit. Seinen Sohn hat er Adam genannt. „Aber wenn du im Irak Karriere machen willst, brauchst du Vitamin B. Oder du gehörst zu einer Terror-Miliz. Oder einer der Minister ist ein Verwandter von dir“, sagt Agassy.

Er traf einen Kindheitsfreund; Abass, einen Schiiten. Der sagte, er sitze als Sekretär im Hochschulbildungsministerium. Und wenn ihm Agassy umgerechnet 5000 Euro gebe, dann werde er ihm wieder einen festen Job an der Uni vermitteln. 5000 Euro hatte Agassy nicht. Aber er zahlte, nach und nach – bis es 4500 Euro waren. Bis Abass das Handy ausschaltete. Bis sich herausstelle, dass er gar nicht mehr im Ministerium arbeitete. Bis Agassy merkte, dass der Kindheitsfreund ein Betrüger war, der ihm, als Agassy nachzuforschen begann, die Miliz des Schiitenführers Moktada al-Sadr auf den Hals hetzte.


Getrennt von Frau und Sohn

Agassy war im Restaurant, als die berüchtigten Milizionäre vor seinem Haus auftauchten. Die Kamera der Nachbarn zeichnete die Szene auf. Agassy war klar, was er jetzt tun musste: flüchten. Erst recht, als sein Bruder verschleppt wurde.

Es war Zufall, dass er sich in Frankfurt am Main für eine Sportmanagement-Ausbildung beworben und einen Platz bekommen hatte. Der Flug war seine Rettung. „Es war Zufall. Ich hatte nie gedacht, dass ich nach Deutschland fliehen würde“, sagt Agassy. Seine Frau, sein Sohn und seine Mutter flohen in die Türkei. Er hat sie seit dreieinhalb Jahren nicht gesehen.

Auf dem Tempelhofer Feld, wo Agassys erste Notunterkunft war, gibt es Baseball-Plätze. Agassy sah sie, er dachte: „Die sind sauber, groß. Es war wie ein Traum.“ „Berlin plays“ war seine Anlaufstation in einer Stadt, in der er niemanden kannte und in der er gerade erst begann, die Sprache zu lernen, die ihm weiterhelfen würde. Als er sagte, dass er irakischer Baseball-Nationaltrainer sei, „haben sie mich bewundert“. Er fing bei „Berlin plays“ als Coach an und zog in eine WG. „Ich möchte meine Miete selber bezahlen. Deswegen möchte ich eine Arbeit“, dachte Agassy. Aber er stellte fest, dass Arbeiten in Deutschland für ihn nicht so einfach werden würde.

Seit ein paar Monaten hat er das C1-Zertifikat. Es bestätigt ein weit fortgeschrittenes Sprachniveau. Agassy ließ seinen Master anerkennen. Er wäre gern Lehrer an einer Berliner Schule, als Quereinsteiger. „Es gibt doch einen Bedarf an Lehrern“, sagt er. Aber ihm fehlt ein zweites Fach und das C2-Zertifikat für die deutsche Sprache. Scheine, das merkte er bald, sind wichtig in Deutschland.


„Er wäre so ein guter Lehrer“

Bei „Sportbunt – Vereine leben Vielfalt!“, einem Projekt im Rahmen des Berliner Gesamtkonzepts für Integration und Partizipation Geflüchteter, das vom Landessportbund unterstützt wird, machte er den allgemeinen C-Trainerschein für Breitensport, obwohl er im Irak einen Master in Sportwissenschaften abgeschlossen hatte und Nationaltrainer war. „Agassy ist einer der sehr Engagierten, einer, der wirklich hier arbeiten, hier ankommen will. Er wäre so ein guter Lehrer“, sagt Integrationscoach Sandra Kilbert. Aber das Ankommen ist so eine Sache. „Mit der Integration ist es wie mit der Liebe. Sie muss von beiden Seiten kommen“, weiß Kilbert.

Agassy versuchte von seiner Seite aus alles. Er machte den C-Trainerschein im Baseball und im Tennis. Er fand Anfang dieses Jahres einen Job als Tennistrainer auf Honorarbasis im Hochschulsport der Humboldt-Uni, aber eine Behörde teilte ihm mit, er dürfe nicht als Selbstständiger arbeiten. Agassy verstand es nicht. „Ziel ist doch die Integration. Dass Asylbewerber einen Job haben. Ich hatte einen Job. Ich könnte als Tennistrainer ordentlich Geld verdienen.“ Sogar in diesem Corona-Jahr. Eine Festanstellung an der HU war aber auch nicht möglich.


„Ich habe Angst, dass alles umsonst war“

Also suchte er weiter nach einem unbefristeten Arbeitsvertrag. Als Trainer. Als Lehrer. „Ein unbefristeter Arbeitsplatz in Vollzeit kann ein Schutz vor der Abschiebung sein“, sagt Agassy. „Ich habe Angst, dass alles umsonst war.“ Am 1. Dezember fing er in einer Kältetechnik-Firma als Monteur an – was da zu tun ist, hat er in Bagdad gelernt. Sein Vertrag ist unbefristet. Ihm gefällt die Arbeit. Die Kollegen fanden seinen Namen super. Sie nennen ihn: Agassy.

 

Text: Karin Bühler
Foto: Berliner Zeitung/Markus Wächter
Der Artikel ist erschienen in der Berliner Zeitung.

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